Bell: Leben, Erfindungen und die Geschichte des Telefons

Bell: Leben, Erfindungen und die Geschichte des Telefons
Bell: Leben, Erfindungen und die Geschichte des Telefons
 
Er gehört zu den erfolgreichsten Autodidakten unter den Erfindern, und sein Name ist bis heute verbunden mit dem berühmtesten Patentstreit der Geschichte: Alexander Graham Bell. Fast 600 Einsprüche mit den nachfolgenden Prozessen wurden gegen sein Telefonpatent von 1876 erhoben. Dennoch ist diese Auseinandersetzung nur ein, wenn auch das bekannteste Kapitel im wechselvollen Leben des Amerikaners schottischer Herkunft. Er gehört auch zu den Pionieren in der Ausbildung der Gehörlosen und Hörbehinderten.
 
Bell wurde am 3. März 1847 in Edinburgh als Sohn einer alten schottischen Familie geboren und auf den Namen Alexander getauft. Seinen zweiten Vornamen Graham legte sich Aleck, wie er von Freunden genannt wurde, an seinem elften Geburtstag zu, als ein amerikanischer Gast der Familie, ein gewisser Alexander Graham, ihn offenbar sehr beeindruckte. Wohl auch in dem Bemühen, sich im Namen von Vater und Großvater zu unterscheiden, wie er später selbst erklärte, nannte er sich nun Alexander Graham Bell.
 
 Kleine Familiengeschichte
 
Eine kurze Familiengeschichte hat im Falle Bells mehr als nur einleitende Funktion. Sein Charakter, seine Berufswahl und seine Ideen wurden entscheidend beeinflusst von seinem Vater und seinem Großvater. Zentrales Thema im Leben aller drei Bells war die intensive Beschäftigung mit dem Gebiet der Sprechtechnik. Der erste Alexander Bell war zunächst, der Tradition seiner Vorfahren folgend, Schuhmacher im schottischen St. Andrews gewesen. Nach dem Bekunden Bells selbst, übte sein Großvater von allen Menschen den stärksten Einfluss auf die Gestaltung seiner Laufbahn aus. Eine Schwäche fürs Theater, die die weiteren Bells von ihm erben sollten, ließ den ältesten Alexander eine Schauspielkarriere beginnen, die er nach kurzer Zeit und mit wenig Erfolg wieder beendete. Erfolgreicher betätigte er sich nun als öffentlicher Vorleser von Shakespeares Dramen und Korrektor von Sprachfehlern, um schließlich in Dundee eine Knabenschule zu eröffnen. Sowohl die Redekunst, als auch die außerordentliche Befähigung zum Lehren erbten die nächsten beiden Bell-Generationen ebenfalls. Der zweite Sohn Alexander Bells kam 1819 in Edinburgh zur Welt und erhielt neben dem Vornamen seines Vaters den Namen Melville nach einem kürzlich verstorbenen Verwandten. Nachdem er einige Zeit Assistent seines Vaters gewesen war und nach einer umfangreichen Reisetätigkeit während der er sich selbst fortbildete, taucht Melville Mitte der vierziger Jahre im Edinburgher Adressbuch als »Professor der Rede- und Vortragskunst« auf. Berühmt wurde er durch die Erfindung der »Sichtbaren Sprache«, eines Systems von Symbolen, das die Stellung der Sprechwerkzeuge beim Hervorbringen der einzelnen Laute in schriftlicher Form festhielt. Neben den Möglichkeiten für den Sprachunterricht, die dieses System bot, bildete es Jahre später für George Bernard Shaw den Anlass für seine Komödie »Pygmalion«.
 
 Schule und Ausbildung
 
Im Jahr 1844 heiratete Melville Eliza Symonds, Tochter eines Chirurgen der britischen Marine, die damals als Zeichenlehrerin in Edinburgh tätig war. Drei Jungen erblickten in den folgenden Jahren das Licht der Welt: Melville James, Alexander und Edward. Sie wurden alle zunächst zu Hause von der Mutter unterrichtet. Aleck erbte die musikalische Begabung seiner in dieser Zeit ertaubenden Mutter und trug sich längere Zeit mit dem Wunsch, Berufsmusiker zu werden. Im Alter von zehn Jahren kam er für ein Jahr auf eine Edinburgher Privatschule und anschließend für zwei Jahre an die Royal High School, wo er, ohne sich besonders hervorzutun, mit 14 Jahren die Abschlussprüfung bestand. Abgesehen von einigen Vorlesungen, die er später noch in Edinburgh und London besuchte, war dies seine gesamte formale Schulbildung.
 
Die entscheidenden Impulse für seine Laufbahn erhielt Aleck von zu Hause. »Von meiner frühesten Kindheit angefangen«, erklärte Bell später, »lenkte man meine Aufmerksamkeit auf die Akustik, ganz besonders auf die Beobachtung der Sprache. Mein Vater hielt mich zum Studium all dessen an, was mit meinem künftigen Beruf zusammenhing«. So setzte Melville eine Belohnung für denjenigen seiner Söhne aus, dem es gelänge, eine sprechende Maschine zu bauen. Aleck und sein Bruder konnten einen primitiven Apparat konstruieren, der »ma-ma«-ähnliche Laute hervorbringen konnte. Bei aller Schlichtheit der Konstruktion und dem bescheidenen Resultat hatte Bell hier zum ersten Mal selbst ein Gerät hergestellt, das Technik und Stimme miteinander verband.
 
Der 14-jährige Bell hatte zunächst ein Jahr bei seinem Großvater in London verbracht und sich unter dessen Einfluss für den Lehrerberuf entschieden. Schließlich wurde er mit 17 Jahren in Elgin Lehrer für Redekunst und Musik an der Weston House Academy. In dieser Zeit unternahm er seine ersten selbstständigen Forschungen auf akustischem Gebiet und lernte dabei auch die Arbeiten des deutschen Physikers und Physiologen Hermann von Helmholtz kennen. Dessen »Lehre von den Tonempfindungen«, die Bell allerdings nicht im deutschen Original lesen konnte, beeinflusste ihn wesentlich. Bells damalige Experimente mit Stimmgabeln und Elektromagneten können im weitesten Sinne als Beginn seiner Arbeiten am Telefon gesehen werden.
 
 Übersiedlung nach Amerika
 
Melville Bell stand auf dem Gipfel seines Ruhms als Rhetoriklehrer, als 1867 sein jüngster Sohn Edward Charles erst 19-jährig an Lungentuberkulose starb. Drei Jahre später erlitt sein ältester Sohn Melville das gleiche Schicksal. Als auch Aleck schwere Erschöpfungszustände zeigte und Anlass zu ernster Besorgnis bestand, erinnerte sich Melville Bell an einen Aufenthalt in Neufundland, der ihm bei gesundheitlichen Problemen nachhaltig geholfen hatte. »Meine damaligen Erfahrungen«, so erklärte er später, »veranlassten mich, es bei dem einzigen mir noch verbliebenen Sohne mit einem Klimawechsel zu versuchen. ..«. Ursprünglich war ein zweijähriger Aufenthalt in Neufundland geplant, aber Melville, der mit seiner Frau seinen Sohn begleitete, kehrte nie mehr nach London zurück und verzichtete damit auf seine dortige Karriere.
 
 Tätigkeit als Taubstummenlehrer
 
Die Bells ließen sich im kleinen Ort Brantford in der kanadischen Provinz Ontario nieder. 1871 begann Alexander Graham Bell mit seiner Tätigkeit als Taubstummenlehrer. Er bekam rasch eine Stelle an der Taubstummenschule in Boston, weshalb er im Jahr darauf in die Vereinigten Staaten übersiedelte. Im Oktober 1872 eröffnete er in Boston eine »Schule für Vokalphysiologie« und engagierte sich auch in schriftlicher Form für die Ausbildung tauber Kinder. Taubheit wurde damals, jedenfalls in den Augen einer breiten Öffentlichkeit, häufig mit Geistesschwäche gleichgesetzt. Die meisten taub geborenen Kinder wurden allenfalls in einer Anstalt in der Zeichensprache, wie Stumme und Taubstumme auch, unterrichtet. Diese Isolierung zu durchbrechen, war nur den Kindern begüterter Eltern möglich, da sie privat mündlich unterrichten ließen und ihnen damit die Möglichkeit boten, die Sprache zu erlernen. Bells Engagement und seine Methodik trugen entscheidend dazu bei, dass sich dieser Zustand in der Folgezeit rasch besserte. Er war ein begeisterter und begeisternder Lehrer; sowohl im Einzelunterricht für seine kleinen Schüler, als auch in der Ausbildung von Lehrern für Gehörlose.
 
Bei seiner Lehrtätigkeit für Taube knüpfte Bell auch jene Kontakte, die ihm später bei seiner Arbeit am Telefon vor allem auch in finanzieller Hinsicht von außerordentlichem Nutzen sein sollten. Gardiner Greene Hubbard, ein bekannter Bostoner Rechtsanwalt, konsultierte ihn wegen Unterrichts für seine taube Tochter Mabel. Hubbard unterstützte Bell mit Rat und Tat und nicht zuletzt finanziell. 1877 heiratete Bell dessen Tochter Mabel. Auch zu Thomas Sanders, einem reichen Geschäftsmann, der später ebenfalls einen erheblichen Teil von Bells Arbeiten finanzierte, kam der Kontakt auf ähnliche Weise zustande. Dessen Sohn George war taub zur Welt gekommen und hatte nie ein Wort über die Lippen gebracht. Zu diesem kleinen Schüler entwickelte Bell ein herzliches Verhältnis und lehrte ihn in kurzer Zeit sprechen.
 
 Experimente mit Telegrafen
 
In dieser Zeit, Ende 1873, arbeitete Bell neben seiner Lehrtätigkeit, meist nachts, an einem »harmonischen Telegrafen«, was ihn häufig bis an den Rand der Erschöpfung brachte. Dieser Telegraf sollte eine Mehrfachtelegrafie ermöglichen, das heißt über ein und dieselbe Leitung sollten gleichzeitig und unabhängig voneinander mehrere Nachrichten übertragen werden können. Mehrere Geber und Empfänger waren jeweils in einer bestimmten Tonhöhe abgestimmt, sodass ein Empfänger nur die Signale empfing, auf deren Tonhöhe er abgestimmt war. Bell kam jedoch mit seinen Arbeiten nicht recht voran. Ihm fehlten die finanziellen und elektrotechnischen Voraussetzungen und zudem war er alles andere als ein geschickter Handwerker.
 
Hubbard und Sanders erklärten sich bereit, jeweils die Hälfte der Kosten für Bells Experimente zu übernehmen. Als Gegenleistung dafür sollte jeder ein Drittel von den Anrechten, die sich aus den Patenten ergeben würden, erhalten. Dennoch war Bell zu Beginn des Jahres 1875 entmutigt wie selten zuvor. In dieser Verfassung suchte Bell Joseph Henry auf, den bedeutendsten amerikanischen Physiker jener Zeit, um ihm seine Geräte vorzuführen und ihn um Rat zu bitten. Der über 80-jährige Henry ermutigte den 28-jährigen Bell. Als dieser zu bedenken gab, dass er auch nicht über das notwendige Wissen auf dem Gebiet der Elektrizität verfüge, antwortete Henry lakonisch: »Get it!«. Ermutigt nahm Bell seine Arbeiten wieder auf. »Wenn nicht Joseph Henry gewesen wäre«, erzählte er später, »hätte ich meine Arbeit am Telefon nicht fortgesetzt.«
 
Da er nun über die finanziellen Mittel verfügte, konnte Bell sich die notwendigen Apparate bauen lassen. Er wandte sich an die Bostoner Firma Charles Williams, die elektrotechnische Apparate für Schulen und für Erfinder baute. Hier wurde ihm der 20-jährige Elektromechaniker Thomas A. Watson zugeteilt, der später sein engster Mitarbeiter bei allen entscheidenden Arbeiten am Telefon werden sollte.
 
 Zufall und Intuition
 
Im Mittelpunkt der Arbeiten, die Bell nun mit Watson zusammen durchführte, stand der Mehrfachtelegraf. Aber bereits 1874 interessierte sich Bell für die elektrische Übertragung des gesprochenen Wortes. Formulierungen wie »Langes Gespräch über Mehrfachtelegrafie und Sprachübertragung. Al optimistisch« und »Halbe Nacht über Apparat und Telefon gesprochen« finden sich Ende Dezember dieses Jahres im Tagebuch seines Vaters. Dabei ging Bell zunächst noch in vollem Umfang seinen beruflichen Pflichten nach. Mitte des Jahres 1875 zog sich Bell von seiner beruflichen Tätigkeit zurück, um sich ganz seiner Arbeit am Mehrfachtelegrafen zu widmen. Zusammen mit Watson arbeitete er im Dachgeschoss von Williams Bostoner Werkstatt häufig bis weit in die Nacht hinein. Am 2. Juni 1875 führten ein Zufall und Bells hervorragendes Gehör ihn auf den Weg zur erfolgreichen Realisierung des Telefons. Beim Mehrfachtelegrafen mussten Sende- und Empfangsgerät sehr genau aufeinander abgestimmt werden um eine störungsfreie Übertragung zu gewährleisten, eine Arbeit, die meist Bell wegen seiner Hörfähigkeit übernahm. Durch einen Zufall klemmte beim Sender eine Feder am Elektromagneten fest. Während Watson daran zupfte presste Bell sein Ohr in der anderen Dachkammer an den Empfänger, um diesen abzustimmen. Dann stürmte er in Watsons Kammer. »Was haben Sie jetzt gemacht?« rief er aus, »ändern sie nichts! Lassen Sie mich sehen!«.
 
Die durch Zupfen in Vibrationen versetzte Feder schloss den Stromkreis zum Empfänger. Durch die Vibrationen im Magnetfeld wurde in diesem Stromkreis ein Strom induziert, der die Feder der Empfangsstelle in gleicher Weise zu Schwingungen anregte. Ein Ton konnte auf diese Weise elektrisch übertragen werden. Zu diesem Effekt war es in der Geschichte der Telegrafie sicher schon öfter gekommen. Aber wohl nur ein akustisch so geschultes Ohr, wie das von Bell, vermochte ihn wahrzunehmen. Zudem zog dieser sofort den richtigen Schluss daraus: Auf dieser Basis musste eine Sprachübertragung möglich sein.
 
 Bells erstes Telefon
 
Mit diesen Erkenntnissen entwarf Bell unmittelbar danach sein erstes Telefon, das Watson am nächsten Tag baute. Es bestand aus einem Holzrahmen, in dem einer von Bells Mehrfachtelegrafensendern eingelassen war. Das lose Ende der Metallfeder war über einen Korken an einer Membran befestigt. Diese Membran war wiederum über einen Einsprachetrichter gespannt. Analog zu diesem Geber wurde der Hörer aufgebaut, der sich von diesem nur durch die optische Gestaltung unterschied. Allerdings war mit diesem elektromagnetischen Telefon nur eine sehr unbefriedigende Sprachübertragung möglich und in der Regel war es Bell, der mit seiner hervorragenden Sprachartikulation von Watson besser verstanden wurde als umgekehrt. Weitere Verbesserungen gelangen Bell während dieses Jahres jedoch nicht mehr. Er konzentrierte sich auf die Patentanmeldung.
 
Bell, der durch seine beiden Telegrafenpatente bereits eine gewisse Erfahrung im Abfassen von Patentschriften hatte, arbeitete sehr sorgsam und wurde erst im Januar 1876 fertig. Er hatte vor, das Patent in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten gleichzeitig anzumelden und beauftragte einen gewissen George Brown, der ihn gegen eine Beteiligung an den zu erwartenden Einkünften des Patentes finanziell unterstützte, mit der Anmeldung in Großbritannien. Dieser zögerte jedoch aus Furcht, sich lächerlich zu machen. Schließlich beauftragte Bells zukünftiger Schwiegervater und Geldgeber Hubbard, ohne diesem davon etwas zu sagen, zwei Patentanwälte mit der Anmeldung. Diese erfolgte am 14. Februar 1876. Nur zwei Stunden danach reichte Elisha Gray, der bereits auf dem Gebiet der Mehrfachtelegrafie mit Bell konkurrierte, ein »caveat« ein, eine Art vorläufige Patentanmeldung, die ebenfalls die Sprachübertragung zum Gegenstand hatte. Bells Patent wurde am 7. März 1876, nach nur drei Wochen, erteilt. Das US-Patent Nr. 174, 465 trug den wenig aussagekräftigen Titel »Improvement in Telegrafy«, der weder auf die wahre Bedeutung hinwies noch die dahinter stehende Brisanz, die eine Flut von Prozessen nach sich zog, erahnen ließ. Bei diesen Prozessen spielten vor allem die über ein Jahrzehnt zurückliegenden Arbeiten von Philipp Reis an seinem Telefon eine wichtige Rolle.
 
 Das »Telefon« von Philipp Reis
 
Der Begriff »Telefon« war bereits Ende des 18. Jahrhunderts eingeführt worden. Man bezeichnete damit zunächst eine Sprachrohranlage, die eine Verständigung über größere Entfernungen möglich machen sollte. Die Idee, auf elektrischem Wege Schall zu übertragen, publizierte als Erster 1854 der französische Telegrafenbeamte Charles Boursel, ohne sie jedoch praktisch zu realisieren. Die erste öffentliche Vorführung einer Sprach- und Musikübertragung fand am 26. Oktober 1861 vor dem Physikalischen Verein in Frankfurt am Main statt. Philipp Reis, damals Lehrer für Naturwissenschaften an einer Mittelschule in Friedrichsdorf nördlich von Frankfurt, gelang es mit seinem »Telefon«, »die Tonsprache selbst direkt in die Ferne mitzuteilen.« Der Empfänger entsprach, wie derjenige von Bell, dem elektromagnetischen Wandlerprinzip. Der Geber jedoch bestand, in Analogie zum menschlichen Ohr, aus einer Membran, die die Schallwellen über Platinkontakte in Stromstöße umwandelte. Bei sehr genauer Einstellung wurde, was Reis damals jedoch nicht klar war, der elektrische Widerstand variiert, was die Übertragungsqualität erheblich verbessert haben dürfte. Obwohl Reis seine Apparate sogar bis ins Ausland verkaufte, dachte niemand an eine kommerzielle Nutzung; die Erfindung wurde als technische Spielerei betrachtet. »Ich habe der Welt eine große Erfindung geschenkt«, äußerte Reis kurz vor seinem Tod gegenüber seinem alten Lehrer Garnier, »anderen muss ich es überlassen, sie weiterzuführen, aber ich weiß, dass auch das zu einem guten Ende kommen wird.«
 
Reis' Geräte wurden häufig nachgebaut und in vielen Ländern Europas und den Vereinigten Staaten vorgeführt. Alle wichtigen Erfinder, die an der Weiterentwicklung des Telefons beteiligt waren, wie Elisha Gray, Thomas Alva Edison, David Edward Hughes und auch Bell, wussten von Reis' Experimenten. Nach Bells eigenen Aussagen wurde ihm ein reissches Telefon am 26. November 1874 erstmals vorgeführt.
 
 Weiterentwicklung und Prozesse
 
Erst nach seiner Patentanmeldung gelang es Bell, sein Telefon entscheidend zu verbessern. Drei Tage nach der Patenterteilung, am 10. März 1876, probierten Bell und Watson eine neue Art von Geber aus, den »liquid transmitter«. Am Ende des Einsprachetrichters befand sich eine Membran, an der wiederum ein Draht befestigt war, der in einen kleinen mit Säure gefüllten Behälter eingetaucht war. Den elektrischen Gegenkontakt bildete der untere Teil dieses Behälters. Der elektrische Widerstand dieser Vorrichtung variierte dann im Rhythmus der Schallwellen. Watson befand sich in Bells Schlafzimmer und hielt den Hörer ans Ohr. Plötzlich hörte er Bells Stimme sagen: »Mr. Watson, come here. I want you!« Bell hatte Säure über seine Kleidung verschüttet und nach Watson gerufen. Es waren dies die ersten Worte, die Watson durch das Telefon klar und deutlich gehört hatte.
 
In der Folgezeit verbesserte Bell seine Geräte und führte sie öffentlich vor, so am 10. Mai 1876 vor der »American Academy of Arts and Science« in Boston. Im Sommer dieses Jahres fand anlässlich des 100. Jahrestags der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten die »Philadelphia Centennial Exposition« statt. Hier demonstrierte Bell seine Geräte mit großem Erfolg. Besonders beeindruckt zeigte sich Peter II., Kaiser von Brasilien. Angeblich äußerte er bei der Vorführung des Telefons: »Mein Gott, es spricht!« Es gehört dies wohl zu den vielen Anekdoten über Bell, die er in späteren Jahren nicht mehr dementierte. »Bell wusste bei aller Ehrlichkeit einen schauspielerischen Effekt zu gut zu würdigen, als dass er der historischen Treue wegen seine Erzählung ihrer Pointe beraubt hätte«, erklärte Bells Mitarbeiterin und erste Biografin Catherin Mackenzie hierzu.
 
Die Produktion von Bells Geräten begann in Williams Werkstatt und am 9. Juli 1877 gründeten Thomas Sanders, Gardiner G. Hubbard, dessen Tochter Mabel (Bells Ehefrau) und Thomas Watson die Bell Telefone Company. Bell selbst übertrug fast seine gesamten Anteile auf seine Frau und behielt nur einen symbolischen Anteil. Doch während die Firma einen raschen Aufschwung nahm, häuften sich die Angriffe seiner Gegner gegen das Patent und dabei vor allem gegen dessen umfassenden Charakter. Den ersten großen Prozess strengte 1879 die zu Western Electric gehörende Firma Western Union an, die ihrerseits eigene Telefone baute, deren Mikrofone von Thomas Alva Edison entwickelt wurden. Bells Patent wurde jedoch uneingeschränkt bestätigt. Weitere Prozesse folgten, und im letzten von 1892 wurde Bell noch einmal sechs Wochen ins Kreuzverhör genommen, es blieb jedoch bei den früheren Entscheidungen. In allen Prozessen zusammengenommen wurden fast 600 Einsprüche gegen Bells Patent abgewiesen.
 
In den letzten drei Jahrzehnten seines Lebens konnte sich Bell unbelastet von finanziellen Problemen der Verwirklichung seiner vielen unterschiedlichen Ideen widmen. Bell, der erst 1882 Bürger der Vereinigten Staaten geworden war, zog sich dazu immer häufiger ins kanadische Cape Breton zurück, wo er seinen 1885 erworbenen Sommerwohnsitz ständig weiter ausbaute. Der eindeutige Schwerpunkt seiner Arbeiten galt dabei Luftfahrtversuchen. Während Bell zunächst über Jahre hinweg selbst Experimente mit Drachen durchführte, wurde er schließlich zum Finanzier früher Flugpioniere und gründete 1907 die »Aerial Experimental Association«. Die Mittel aus dem Volta-Preis, den er 1880 in Frankreich erhalten hatte, verwendete er zur Finanzierung des Volta-Laboratoriums, das sich mit der Erforschung der Taubheit und mit der Arbeit für die davon Betroffenen befassen sollte. 1882 gründete und finanzierte er zusammen mit seinem Schwiegervater die amerikanische Wissenschaftszeitschrift »Science«. Zu den zahlreichen Ehrungen, die Bell erfuhr, gehörten 1883 die Wahl zum Mitglied der »National Academy of Sciences« und 1898 die Ernennung zum Senatsmitglied der »Smithonian Institution«.
 
Bell reiste gerne. Seine letzte größere Reise führte ihn 1920 noch einmal in seine Geburtsstadt Edinburgh, wo ihm das Bürgerrecht verliehen wurde. Am 2. August 1922 starb Alexander Graham Bell und wurde nach einer schlichten Zeremonie bei seinem Haus beerdigt. Am Tag der Beisetzung ruhte der Telefonverkehr in den Vereinigten Staaten für eine Minute.
 
Ulrich Kern
 
 
Catherine Mackenzie: Alexander Graham Bell. Überwinder der Distanz. Aus dem Englischen. Wiesbaden 1951.
 Richard Tames: Alexander Graham Bell. (New York 1990.
 Steve Parker: Alexander Graham Bell and the telephone. London 1994.
 Paul Joseph: Alexander Graham Bell. Minneapolis, Minn., 1996.
 Edwin S. Grosvenor und Morgan Wesson: Alexander Graham Bell. The life and times of the man who invented the telephone. New York 1997.
 James Mackay: Sounds out of silence. A life of Alexander Graham Bell. (1997)

Universal-Lexikon. 2012.

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